Die Digitalstrategie der Stadt Essen

"Wir haben uns gefragt: Wo muss sich am meisten ändern, wo haben wir den größten Bedarf und was können wir auch wirklich schaffen?"

Die Digitalstrategie wurde im Februar 2023 beschlossen. Zeit für ein erstes Fazit: Was sind die Kernelemente/Hauptansätze der Digitalstrategie und welche Wirkung konnte sie in ihrem ersten halben Jahr entfalten?

Frau Annabelle Brandes: "Die Digitalstrategie hat das Ziel, ein modernes Dienstleistungsangebot bereitzustellen, welches möglichst einfach und standardisiert nutzbar ist. Dahingehend besteht ein gewisser Spagat, da wir mit der Digitalisierung unserer Dienstleistungen insbesondere ältere und digital nicht-affine Menschen nicht aus dem Blick verlieren dürfen und weiterhin immer auch persönlich ansprechbar sein müssen. Zugleich ist Digitalisierung auch eine der Antworten auf die Frage, wie wir unsere Kolleginnen und Kollegen in der Verwaltung entlasten können. Dafür müssen wir auf Verwaltungsprozesse schauen und wie wir sie gestalten. Nicht die Technik ist entscheidend, sondern was wir damit machen.
Die Digitalstrategie geht darauf ein, warum gute digitale Werkzeuge wichtig sind und was wir damit erreichen wollen. Sie stellt klar, dass es hierzu vieler digitaler Schlüsselkompetenzen in den Fachbereichen bedarf, insbesondere bei den Führungskräften. Sie müssen Veränderung ermöglichen und ihre Mitarbeitenden befähigen.
Entsprechend beschreibt die Strategie, was uns wichtig ist und worum wir uns vorrangig kümmern wollen. Sie ist ein Rahmenpapier, welches bereits während der Erstellung und seit der Verabschiedung mit Leben gefüllt wurde. Wir berichten laufend über umgesetzte, in Umsetzung befindliche und geplante Projekte im Digitalisierungsausschuss und machen so transparent, woran die Verwaltung arbeitet."

Herr Peter Adelskamp: "Früher lag die Bearbeitung von Verwaltungsprozessen weitgehend in einzelnen Fachbereichen. Im Laufe der Zeit haben Spezialisierung und zunehmende Digitalisierung dazu geführt, dass es immer mehr Beteiligte gab: IT-Dienstleister, Front und Back Office-Strukturen, weitere Querschnittsbereiche uvm. Jetzt kommen immer mehr externe Partner hinzu, weil wir Informationen und Daten mit anderen föderalen Ebenen austauschen und Dienste nutzen, die in der Cloud liegen. Wir entwickeln uns zu einer vernetzen Kommune – der Netzwerkkommune. Und wir handeln vernetzt. Interkommunaler Austausch, der Tausch von Vorlagen und guten Ideen, Arbeitsteilung uvm. prägen den Alltag. Das ist eine organisatorische und kulturelle Veränderung, die wir unterstützen und zulassen müssen. Auch hierauf geht die Digitalstrategie ein.
Digitalisierung ist nicht nur eine Frage der Technik. Die Herausforderung ist es, die richtige Lösung zu finden, die gut und einfach funktioniert, Arbeitserleichterung bringt, Akzeptanz findet, bedient werden kann und vernünftig eingeführt wurde. Denn am Ende müssen die Mitarbeitenden verstehen, wie und welche digitalen Werkzeuge ihre Arbeit unterstützen können und wie sie Abläufe beeinflussen. Der Blick auf die organisatorischen Prozesse ist dabei ebenso wichtig, wie auf klare und offene Kommunikation, erforderliche Qualifikationen und Personalressourcen, die für den Veränderungsprozess der Einführung erforderlich sind – während das Tagesgeschäft weiterläuft."

"Uns war klar: Es geht nicht um das Papier – das ist nur das Ergebnis."

Welche Ziele sollen mit der Digitalstrategie erreicht werden? Wie wurden die Ziele der Digitalstrategie erarbeitet/festgelegt?

Brandes: "Bei der Erarbeitung war die Einbeziehung vieler Ebenen wichtig. Dazu gehörte natürlich der Verwaltungsvorstand und auch politische Mandatsträgerinnen und Mandatsträger. Es wurden auch Interviews mit dem Oberbürgermeister, dem Stadtdirektor, dem Essener Systemhaus und der Smart City-Initiative CONNECTED.ESSEN geführt, um wesentliche Einflüsse und Abhängigkeiten herauszuarbeiten. Die Fachbereichsleitungen wurden zu Beginn und zum Ende der Strategieerstellung eingebunden. Zum Schluss wurden die Ergebnisse und Überlegungen in einer Digitalen Sprechstunde vorgestellt.
Die Fachbereiche haben unglaublich viele Projekte zurückgemeldet, welche Maßnahme geplant sind oder schon laufen – und was ihnen wichtig ist."

Adelskamp: "Wir haben uns gefragt: Wo muss sich am meisten ändern, wo haben wir den größten Bedarf und was können wir auch wirklich schaffen?,
und auf dieser Basis fünf Handlungsfelder beschrieben an den sich die Zielbeschreibung orientiert: Digitaler Verwaltungsservice, moderne und attraktive Arbeitgeberin, offenes und transparentes Verwaltungshandeln, datenbasiertes Verwaltungshandeln, digitale Souveränität und Resilienz und digitale Souveränität und Resilienz.
Uns war klar: Es geht nicht um das Papier – das ist nur das Ergebnis. Die Abstimmungsgespräche und die Meinungsbildung sind wichtig. Das gemeinsame Verständnis der richtigen Ziele. Die Beschreibung einer gemeinsamen Mission."

Die Digitalstrategie ist in fünf Handlungsfelder unterteilt. Gibt es hier Prioritäten? Wie sind die Handlungsfelder verzahnt?

Brandes: "Die Handlungsfelder haben wir bewusst so benannt, weil es die Themen sind, mit denen wir uns vordringlich befassen müssen.
Maßnahmen zahlen dabei selten auf nur ein Handlungsfeld ein. Insofern haben sie alle Schnittmengen und stehen in Beziehung zueinander. Wenn wir die Baugenehmigung online bringen, dann sorgt das für besseren Verwaltungsservice, das bessere Verfahren wird von den Beschäftigten als modern und zeitgemäß wahrgenommen, wir zeigen Transparenz über Sachstände, wir nutzen Daten zum zu Entscheidungen zu kommen und der Onlinedienst sorgt dafür, dass auch während einer Pandemie die Anträge gestellt werden können.
Klar ist aber auch: Die Kernaufgabe einer Stadt ist die Daseinsvorsorge und damit die Sicherstellung aller notwendigen Verwaltungsdienstleistungen. Das bedeutet heute auch digital. Das geht nur mit unseren Beschäftigten, deswegen ist das Thema Arbeitgeberattraktivität wichtig. Was wir anbieten muss sicher sein. Und wir müssen uns Gedanken machen, wie wir unseren Job machen können, falls IT mal ausfällt. So greift das Eine in das Andere."

Adelskamp: "In der Maßnahmenumsetzung achten wir darauf, dass wir Lösungen schaffen, von denen wir möglichst gesamtstädtisch profitieren können und die möglichst vielen Kolleginnen und Kollegen helfen.
Nutzendenzentrierung wird in der Digitalstrategie an vielen Stellen hervorgehoben. Das betrifft die Bürgerinnen und Bürger genauso, wie die eigenen Beschäftigten. Nur wenn unsere Online-Dienst gut gemacht sind und Mehrwerte bieten, werden sie akzeptiert und genutzt. Und nur dann bringen sie uns Entlastung und helfen uns dabei, dass wir unsere Arbeit machen können. Es geht nicht mehr so sehr um die Frage, ob wir etwas machen, sondern eher wie wir dies tun. Das ist eine Frage der Haltung und des Selbstverständnisses, wie wir gegenüber unseren Bürgerinnen und Bürgern auftreten."

"Die Digitallotsinnen und Digitallotsen sind Teil eines Lotsennetzwerks, das von dem Fachbereich 01-12/Digitale Verwaltung organisiert wird."

Die Themen Nutzendenzentrierung, Qualifizierung und Prozesse ziehen sich wie ein roter Faden durch die Digitalstrategie durch. Sind wir fit für die Digitalisierung?

Brandes: "Die Fachbereiche sind unterschiedlich gut aufgestellt, um die Veränderungsprozesse die durch digitale Anforderungen entstehen, zu bewältigen. Wir brauchen insgesamt solide Grundlagen um Digitalisierung zu verstehen und sie sinnvoll ein- und umzusetzen. Hierfür erweitern wir kontinuierlich die Aus- und Fortbildungsangebote. Auch bei den Führungskräftefortbildungen spielen die Themen Mitarbeitendenzentrierung, Digitalisierung und gute Arbeitsprozesse immer wieder eine wichtige Rolle. Darüber hinaus stärken wir die Digitalisierungskompetenzen in den Fachbereichen durch die Qualifizierung von Digitallotsinnen und Digitallotsen."

Adelskamp: "Die Digitallotsinnen und Digitallotsen sind Kolleginnen und Kollegen, die von den Fachbereichen benannt wurden und als Multiplikatorinnen und Multiplikatoren dienen. Sie sind Teil eines Lotsennetzwerks, das von dem Fachbereich 01-12/Digitale Verwaltung organisiert wird. Hierüber wird ein Erfahrungsaustausch und Wissenstransfer zwischen den Fachbereichen etabliert, um voneinander zu lernen und Digitalisierungsprojekte besser bewältigen zu können. Informationen werden breit durch die Kolleginnen und Kollegen des Teams Digitalisierungsprojekte und mich geteilt und gesamtstädtische Projektideen besprochen."

Wie viel Zeit hat die Vorbereitung eingenommen? Welche Maßnahmen mussten im Vorfeld durchgeführt werden? Welche Hürden genommen werden?

Brandes: "Als ich im Juni 2022 zur Stadt Essen kam, lief der Prozess schon eine ganze Weile. Er begann bereits Ende 2019 mit Workshops der Fachbereichsleitungen und des Verwaltungsvorstandes. Dann kam Corona und die Arbeitsprozesse der ganzen Verwaltung wurden auf den Kopf gestellt. Die Digitalstrategie konnte nicht mehr die Priorität genießen, die sie verdient hatte.
Ab Mitte des letzten Jahres wurden dann die bisherigen umfangreichen Überlegungen und Zielsetzungen gebündelt, weitere Interviews geführt und die Politik eingebunden."

Adelskamp: "Zu Beginn haben wir gemeinsam mit der KGSt die Handlungsfelder beschrieben und die ersten Ziele umrissen. Auch der Verwaltungsvorstand leistete seinen Beitrag zum Zielbild in einem Workshop. Im letzten Jahr wurden dann alle losen Enden gebündelt, Schwerpunkte beschrieben und mit Unterstützung von PD – Berater für Deutschland die Digitalstrategie ausformuliert. Dieser Prozess war sehr intensiv und dauerte knapp drei Monate von Oktober bis Ende Dezember. Im Anschluss erfolgte dann die Einbringung in den Digitalisierungsausschuss und den Rat."

Die Digitalstrategie ist auf 5 Jahre angelegt. Welche Prozesse sollen angestoßen bzw. welche Meilensteine zwischenzeitlich erreicht werden? Gibt es konkrete Beispiele?

Brandes: "Die fünf Jahre haben wir gewählt, weil man diesen Zeitraum überblicken kann und wir davon ausgehen, dass große Maßnahmen wie z.B. die E-Akte dabei sind, die durchaus auch einen solchen Zeitrahmen brauchen. Entwicklungen bei Künstlicher Intelligenz und ChatGPT zeigen aber auch, wie schnell sich neue Schwerpunkte bilden und Einfluss nehmen. Deswegen wurde die Laufzeit begrenzt."

Adelskamp: "Umgesetzt sind die ersten E-Akte-Projekte wie E-Personalakte, mehrere Fallakten im Fachbereich 50 und in der Abteilung 51-5. Wir haben eine Prozessmanagementsoftware eingeführt, die uns eine solide Grundlage für die Koordinierung der Umsetzung des Onlinezugangsgesetzes (OZG) bietet und den Fachbereichen als wichtige Informationsquelle dient. Auf dieser Basis können sie nun auch die eigenen Prozesse dokumentieren und so Wissensmanagement betreiben.
Rund 100 Maßnahmen sind in dem Arbeitsprogramm aufgeführt. Darüber wollen wir auch gegenüber den Kolleginnen und Kollegen der Verwaltung transparent machen, was sich so tut. Denn häufig schätzt man den digitalen Reifegrad der eigenen Behörde viel schlechter als die Angebote anderer Kommunen. Und verstecken müssen wir uns wirklich nicht."

"Ein wichtiger Strategiewechsel war es, von Einzellösungen für Einzelanforderungen weg zu gehen."

Was wurde schon umgesetzt und wie schnell werden die Bürger*innen und/oder Mitarbeitenden weitere Ergebnisse aus der Digitalstrategie merken?

Brandes: "Ein wichtiger Strategiewechsel war es, von Einzellösungen für Einzelanforderungen weg zu gehen und modulare Systeme einzusetzen, wie das Serviceportal. Jeden Monat entstehen mit diesen Techniken neue Online-Dienste, von denen die Bürgerinnen, Bürger und auch die eigenen Mitarbeitenden profitieren."

Adelskamp: "Digitalisierung kostet Geld und spart nur selten. Es braucht zusätzliche Kompetenzen in Fachbereichen und in der Querschnittsverwaltung. Diese Investitionen müssen sich auszahlen. Die Währung dafür sind bessere Online-Dienste und Entlastung für die eigenen Beschäftigten. Ich habe ein enorm großes Interesse daran, dass die Bürgerinnen und Bürger merken, dass wir hier etwas bewegen und investieren.
Es gibt viele große und kleine Projekte und Maßnahmen, die im Rahmen der Digitalstrategie umgesetzt wurden oder sich in Umsetzung befinden. Hierzu gehören untere anderem: Ausbau des Dokumentenmanagementsystems inkl. E-Personalakte, , Ausbau der Online-Dienste im Serviceportal, IT-Sicherheitsstrategie, Regelungen zum IT-Notfallmanagement, elektronische Kraftfahrzeugzulassung (i-Kfz), ein Projekt zur Nutzung von Gebärdensprachenavataren, Chatbots, Datenstrategie und Datenethik, Infrastrukturmaßnahmen für städtische Bibliotheken, Service-Terminals und eine moderne Terminmanagementlösung oder ein zentrales Outputmanagement zur Bündelung von Druckleistungen und zur Steuerung des digitalen und analogen Postausgangs. Darüber hinaus möchten Gesundheitsamt und Jobjenter eine Videoberatungssoftware nutzen, um Beratungsgespräche auch über diesen Kanal anbieten zu können."

Ausblick: In wie weit werden die Ziele des Strategiepapiers in den nächsten 5 Jahren umgesetzt werden können und was kommt danach?

Brandes: "Digitalisierung wird nie enden. Es wird aber immer selbstverständlicher, dass wir digitale Werkzeuge bei der Veränderung von Abläufen mitdenken.
Wir werden in fünf Jahren vieles von dem, was manche heute noch als Science-Fiction vorkommt, als selbstverständlich empfinden. Wir werden unsere Schwerpunkte verändern."

Adelskamp: "Wir sind noch dabei, wichtige Grundlagen zu schaffen, damit die Umsetzung digitaler Projekte und Maßnahmen einfacher und schneller wird.
Diese Grundlagen werden in fünf Jahren normal sein. Hierauf aufbauend werden wir immer mehr Mehrwerte bieten können, die unsere Arbeit erleichtern. Das bedeutet aber auch, dass wir digitale Kompetenzen immer häufiger voraussetzen müssen. Dafür überlegen wir auch gemeinsam mit dem Fachbereich 10, wie wir Ausbildungs- und Qualifizierungskonzepte anpassen können, damit sie zu einer sich verändernden Arbeitswelt passen."

Annabelle Brandes – Geschäftsbereichsvorständin für Personal, Allgemeine Verwaltung und Digitalisierung der Stadt Essen

Annabelle Brandes wurde in der Ratssitzung am 23. Februar 2022 einstimmig zur neuen Beigeordneten für Personal, Allgemeine Verwaltung und Digitalisierung der Stadt Essen gewählt. Vor ihrer Dienstaufnahme bei der Stadt Essen war sie über mehrere Jahre in leitenden- geschäftsführenden Funktionen bei der Bundesagentur für Arbeit und zuletzt als Beigeordnete für die Bereiche Zentrale Dienste und Gebäudeservice bei der Stadt Wesel tätig.

Peter Adelskamp - Chief Digital Officer (CDO)

Peter Adelskamp arbeitet seit dem 01.01.2019 als Chief Digital Officer (CDO) bei der Stadt Essen und ist für das Themenfeld der gesamtstädtischen Digitalisierung verantwortlich. Er leitet den Fachbereich 01-12/Digitale Verwaltung. Zuvor war er als CDO, Hauptamtsleiter und Abteilungsleiter Organisation und IT-Steuerung bei der Landeshauptstadt Düsseldorf tätig.

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