Der Rat der Stadt Essen hat in seiner gestrigen (19.2.) Sitzung die Umsetzung des Konzepts "Zusammenleben in Vielfalt" beschlossen. Es bildet die Grundlage für das Zusammenleben der Menschen in der Stadt und ist ein entscheidender Beitrag für das gemeinsame Handeln in der Zuwanderungsgesellschaft. Zukünftig soll dem Rat über den Stand der Umsetzung alle zwei Jahre berichtet werden.
Das Konzept "Zusammenleben in Vielfalt" vereint drei Perspektiven: den Ausbau der interkulturellen Orientierung in allen Bereichen der öffentlichen Daseinsvorsorge, die Wahrnehmung von Integration als Querschnittsaufgabe in der Stadtverwaltung sowie der Stadtgesellschaft und die Stärkung der Teilhabe und des Zusammenhalts durch sozialräumliche Integrationsangebote in den Essener Stadtteilen und Quartieren.
Das Konzept teilt sich in die folgenden fünf Kapitel:
Das Kapitel I "Weiterentwicklung des Essener Konzeptes" beschreibt den formalen Auftrag, Thesen zur Gegenwart und die Zukunft der Einwanderungsgesellschaft sowie das Essener Leitbild "Zusammenleben in Vielfalt".
Kapitel II "Strategische Ausrichtung" legt die beiden zentralen strategischen Handlungsstränge dar und definiert Zielgruppen und Handlungsfelder. Während sich bei den Handlungsstrategien die "interkulturelle Öffnung" auf den Organisations- und Personalbereich sowie auf Produkt- bzw. Dienstleistungsentwicklungen der Stadt Essen bezieht, zielt der sozialräumliche und bereichsübergreifende Ansatz auf eine dauerhafte, gesamtstädtische und ressortübergreifend angelegte, integrierte Stadtentwicklungsplanung.
Das Kapitel III "Fachliche Ausrichtung" fasst die Ergebnisse der durchgeführten Interviews zusammen und beschreibt im Einzelnen sieben Handlungsfelder: Erziehung, Bildung und Sprache, Beschäftigung und Existenzsicherung, Teilhabe und Mitwirkung, Gesundheit und Vorsorge, Alter und Migration, Ordnung, Schutz und Sicherheit sowie Wohnen und Zusammenleben im Stadtteil. Jedes Handlungsfeld ist mit übergeordneten Leitlinien im Sinne kommunalpolitischer Zielsetzungen unterlegt und als "Wir"-Aussage formuliert.
Das Kapitel IV "Netzwerksteuerung" legt die ressortübergreifende Netzwerkstruktur zur Umsetzung, kontinuierlichen Weiterentwicklung und Steuerung dar. Es umfasst auch Hinweise auf die Zusammenlegung des ehemaligen Innovationshaushalts (IHH) mit dem Integrationshaushalt (Integration von Flüchtlingen) zu einem gemeinsamen "Integrationsbudget".
Im Rahmen der Haushaltsaufstellung für 2020/ 2021 stehen hier Mittel für eine Struktur- und Maßnahmenförderung zur Verfügung, aktuell jährlich 4,9 Millionen Euro. Diese kommunalen Mittel werden nachrangig zu einer möglichen Finanzierung der Fachbereiche und/ oder einer Drittmittelförderung eingesetzt.
Eine wichtige Ergänzung bildet die Fortsetzung der Finanzierung von 35 Personalstellen bei den Verbänden der Freien Wohlfahrtspflege, die mit dem Strategiekonzept "Integration von Flüchtlingen" 2017 geschaffen worden sind. Aufgabe dieser Stellen war bis jetzt die Beratung und Betreuung von Flüchtlingen.
Mit dem neuen Konzept "Zusammenleben in Vielfalt" wird die Zielgruppe auf alle Neuzugewanderten erweitert. Zu den damit verbundenen erweiterten Aufgabenleistungen gehören unter anderem die Sicherstellung von Sozialberatung im Einzel- und Gruppenkontext im Zusammenwirken mit allen Diensten in der Migrationsberatung, die Einführung in Asylverfahrensberatung, das Management und Begleitung des Übergangs aus Übergangswohnheimen in Privatwohnungen, die Vermittlung bei interkulturellen Konflikten sowie die Förderung und Unterstützung ehrenamtlicher Strukturen.
Die Verlängerung der Finanzierung erfolgt zunächst mit einer Laufzeit von zwei Jahren, bis Ende 2021. In diesem Zeitraum sollen die Bedarfe geprüft werden.
Das Kapitel V "Entwicklungen beobachten (Monitoring)" definiert aufbauend auf dem Monitoring-Bericht 2016 und den Statistiken der Fachbereiche differenzierte Kennzahlen zur Beobachtung von Trends und Entwicklungen. Sie sollen Auskunft darüber geben, ob und in welcher Weise sich die Teilhabe der Menschen mit Migrationshintergrund vollzieht und in welchen Bereichen sich Defizite und Handlungsbedarfe ergeben.
Die Handlungsfelder im Einzelnen
"Erziehung, Bildung und Sprache"sind die entscheidenden Schlüssel dafür, dass Biografien gelingen und eine eigenverantwortliche Lebensgestaltung möglich ist. Daher finden sich im Handlungsfeld 1 Leitlinien wie "Wir schaffen ein umfassendes Bildungsangebot, das alle Generationen anspricht.“ und hierunter der Schwerpunkt der Jugendsozialarbeit, die vorrangig darauf abzielt, benachteiligte junge Menschen beim Übergang von der Schule in den Arbeitsmarkt zu begleiten, sie zu fördern und in der Entwicklung ihrer Lebensplanung zu unterstützen.
Das Handlungsfeld 2 behandelt die Themen "Beschäftigung und Existenzsicherung". Unternehmen und arbeitsmarktpolitische Akteure wie die Stadtverwaltung Essen und ihre Beteiligungsgesellschaften, das JobCenter, die Agentur für Arbeit aber auch die Kreishandwerkerschaft sind auf eine vorausschauende internationale und regionale Beschäftigungspolitik angewiesen, welche die Potenziale fördert, Zugänge zum Ausbildungs- und Arbeitsmarkt erleichtert sowie gut ausgebildete Menschen zum Verbleib in Essen ermutigt. Zur Nutzung wertvoller Potenziale und zur Vermeidung von Chancengleichheit sind jedoch noch viele Anstrengungen notwendig.
Handlungsfeld 3 beschäftigt sich mit dem Thema "Teilhabe und Wirkung", denn die Schaffung von Teilhabe- und Mitwirkungsmöglichkeiten am sozialen, wirtschaftlichen, kulturellen und politischen Leben ist eine zentrale Voraussetzung dafür, dass sich Menschen in ihrem Umfeld angenommen fühlen und sich engagieren.
Unter dem Schwerpunkt "Unterstützung und Beratung von Beginn an" findet sich beispielsweise die Migrations- und Flüchtlingsberatung der Essener Wohlfahrtsverbände. Die Migrationsberatung für erwachsene Auswanderer (MBE) richtet sich an Zugewanderte ab 27 Jahren mit Aufenthaltstitel einschließlich deren Familienangehörigen in den ersten drei Jahren nach der Einreise oder der Erlangung eines dauerhaften Aufenthaltsstatus. Junge Menschen im Alter von zwölf bis 27 Jahren, unabhängig vom Aufenthaltsstatus und solange sie sich rechtmäßig oder aufgrund einer ausländerrechtlichen Duldung in Deutschland aufhalten, können sich an den Jugendmigrationsdienst (JMD) der Evangelischen Kirchengemeinde Essen-Borbeck-Vogelheim wenden. Asylbewerberinnen und Asylbewerber in Flüchtlingswohnheimen und Privatwohnungen werden durch die soziale Betreuung und Beratung des Diakoniewerks Essen und der CSE gGmbH unterstützt, um ihre gesellschaftliche Teilhabe so weit wie möglich vorzubereiten.
Das Handlungsfeld 4 beschäftigt sich mit den Themen "Gesundheit und Vorsorge". Gesundheitsfürsorge in einer kulturell vielfältigen Gesellschaft bedeutet, dass sich auch Gesundheitseinrichtungen neu orientieren müssen. Sprachkenntnisse und interkulturelle Kompetenz entwickeln sich zunehmend zu Schlüsselkompetenzen. Ein Praxisbeispiel in diesem Handlungsfeld sind die Interkulturellen Gesundheitslotsen, die Menschen mit Migrationsgeschichte zu allen Fragen, die sich mit Gesundheit, Krankheiten und der gesetzlichen Krankenversicherung in Deutschland beschäftigen, informieren und beraten.
Das Handlungsfeld 5 "Alter und Migration" erhält vor dem Hintergrund des demographischen Wandels und der zunehmenden Differenzierung von Lebenslagen im Alter eine wachsende Bedeutung. Die insgesamt zunehmende Vielfalt in der Gesellschaft zeigt sich vermehrt auch in der Gruppe der älteren Bevölkerung.
Das Handlungsfeld 6 behandelt die Themen "Ordnung, Schutz und Sicherheit". Unter dem Schwerpunkt "Rassismus entgegenwirken und Demokratieerziehung" findet sich das Praxisbeispiel Jugenddialoggruppen, ein bewährtes Dialogkonzept, auf dass das Kommunale Integrationszentrum in der Primärprävention setzt. Die Jugenddialoggruppen richten sich an Jugendliche im Vorfeld einer Ideologisierung oder Radikalisierung. In schulischen und außerschulischen Dialoggruppen wird versucht, Jugendliche unter der Anleitung von zuvor qualifizierten mehrsprachigen Multiplikatorinnen und Multiplikatoren in wöchentlich stattfindenden Dialoggruppen für politische Bildung zu aktivieren und mit ihnen gemeinsam einen differenzierten Umgang mit Themen wie Demokratie, Toleranz und Religion zu erarbeiten.
Handlungsfeld 7 beschäftigt sich mit "Wohnen und Zusammenleben im Stadtteil". Das respektvolle, akzeptierende und friedliche Zusammenleben im Stadtteil gehört zu den Bedingungen gelingender Integration. Entscheidend für eine nachhaltige Stadtteilentwicklung ist es, Fachbereiche, Institutionen und Organisationen dauerhaft sozialräumlich zu vernetzen. Ein Praxisbeispiel ist das Projekt MifriN – Migrantinnen und Migranten in friedlicher Nachbarschaft. Seit 2017 umfasst das Projekt Prävention und Meditation von Konflikten im Wohnumfeld sowie die Unterstützung der schulischen Bildungsteilhabe von Kindern neuzugewanderter EU-Bürgerinnen und –Bürger aus Südosteuropa. Viele von ihnen kommen aus sozial schwierigen und bildungsungewohnten Verhältnissen, verfügen über einen niedrigen beruflichen Qualifizierungsstand und neigen aufgrund von Diskriminierungserfahrungen in ihren Herkunftsländern zu Misstrauen gegenüber staatlichen Einrichtungen, wie etwa Behörden und Bildungseinrichtungen.
Zum Hintergrund
Die Entwicklung einer zunehmend heterogenen und diversen Gesellschaft stellt auch die Stadt Essen vor komplexe Herausforderungen. Die Integration von Zugewanderten ist daher eine wichtige Aufgabe, die in den letzten Jahren weiter an Bedeutung gewonnen hat. In der Vergangenheit wurde sie durch das Strategiekonzept "Interkulturelle Orientierung" und ab 2017 durch das Strategiekonzept "Integration von Flüchtlingen" gesteuert. Im November 2017 wurde im Rat der Stadt Essen die Weiterentwicklung unter Zusammenführung beider Konzepte beschlossen. Mit dem Konzept "Zusammenleben in Vielfalt" ist ein Rahmenkonzept entstanden, das flexibel auf diese Herausforderungen und den damit verbundenen, sich ständig ändernden Bedarfen, reagieren kann.
Mit dem Ziel, ein gesamtstädtisches Konzept zu entwickeln, wurde seitens der Stadtverwaltung ein Prozess eingeleitet, der sowohl die Einrichtung verwaltungsinterner Abstimmungsstrukturen wie den Diskurs mit Externen über die Grundausrichtung und Eckpunkte des Konzeptes umfasste. Über eine Ideenwerkstatt Mitte 2018 starteten Workshops mit über 150 Teilnehmenden aus Organisationen, Politik, Wissenschaft und Verwaltung zu bestehenden und neuen Handlungsansätzen u.a. in den Schwerpunkten Zusammenleben, interkulturelle Öffnung, Teilhabe und Bildung. Die Ergebnisse der Workshops und die Ergebnisse der nachgehend 26 durchgeführten Interviews mit Expertinnen und Experten aus Wirtschaft, Wissenschaft, Non-Profit-Organisationen, Polizei, etc. dienten als Grundlage für die Aufbereitung inhaltlicher Konzeptteile.
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