82 Jahre lang war die Sammlung Jellinek-Mercedes eine Besonderheit im Bestand der Musikbibliothek der Stadtbibliothek Essen. Es handelt sich um etwa 1000 Bände von Musiker-Gesamtausgaben, die seit Mitte des 19. Jahrhunderts vornehmlich im Verlag Breitkopf & Härtel erschienen waren. Die Sammlung ist vor allem wegen ihrer Geschichte und Herkunft bedeutsam, die eng mit Wien und einer namhaften Wiener Familie verbunden ist. Gestern (21.02.) wurde der Schenkungsvertrag von Muchtar Al Ghusain, Kulturdezernent der Stadt Essen und dem Vorstand der Wiener Philharmoniker unterzeichnet und damit die Sammlung an das Historische Archiv der Wiener Philharmoniker zurückübergeben.
Die Wiener Philharmoniker freuen sich sehr, dass sie die bedeutenden Sammlung Jellinek-Mercedes übernehmen können. Die umfassende Partiturensammlung ermöglicht nicht nur Einblicke in historische Ausgaben bedeutender Komponisten, sondern ist darüber hinaus auch ein Zeitzeugnis von großem Wert.
Kulturdezernent Muchtar Al Ghusain dazu: "Für die Musikbibliothek der Stadtbibliothek Essen ist es schön und notwendig zugleich, dass die Sammlung, die jahrzehntelang im Besitz der Stadt Essen war, nun ihren Weg zurück nach Wien findet."
Die Wiener Philharmoniker gaben im Anschluss an die Unterzeichnung des Vertrags ein Konzert in der Philharmonie Essen.
Zur Geschichte der Sammlung Jellinek-Mercedes
Anlässlich der nationalen Tagung der Musikbibliotheken im Jahre 2001 in Essen recherchierte Verena Funtenberger, Leiterin Musikbibliothek Essen, unter anderem zur Sammlung Jellinek-Mercedes. Außer einem alten Zeitungsartikel über den Ankauf aus dem Nachlass eines „Wiener Musikfreundes“ und der auffälligen Kennzeichnung des Eigentümers in den einzelnen Bänden waren keine weiteren Hinweise zur Herkunft der Sammlung bekannt.
Im Wiener Telefonbuch stieß sie auf den Namen Andrée Jellinek-Mercedes. Der Eintrag führte zu der damals fünfundneunzigjährigen Halbschwester des ehemaligen Besitzers der Sammlung Raoul Fernand Jellinek-Mercedes. Dieser war ein Enkel des jüdischen Wiener Gelehrten Adolf Jellinek und ein Sohn jenes Geschäftsmannes und Beraters der Daimler-Motoren-Gesellschaft Emil Jellinek, nach dessen Tochter Mercedes die berühmte Automarke benannt ist. Fernand lebte in einer großen Villa in Baden bei Wien, betätigte sich als Schriftsteller, war förderndes Mitglied des Wiener Musikvereins und spielte mehrere Instrumente. Er besaß neben einer großen Musikaliensammlung eine Gemäldesammlung sowie eine wertvolle Bibliothek. Im Februar 1939 beging er Selbstmord, weil er den Druck der Verfolgung durch das Nazi-Regime nicht mehr verkraften konnte. Seine Musikaliensammlung wurde von der Gestapo beschlagnahmt und 1940 vom ersten hauptamtlichen Essener Musikbibliothekar, dem Österreicher Dr. Ernst Reichert, für die Musikbücherei Essen erworben. Leider waren die Ankaufswege und der damalige Lieferant nicht mehr zu ermitteln.
Dass die Sammlung Jellinek-Mercedes den Krieg überhaupt überstanden hat, ist wiederum das Verdienst Ernst Reicherts. Wegen der Verschärfung der Luftangriffe auf Essen Anfang 1943 hatte er die Bände in sein Sommerdomizil nach Bad Ischl transportieren lassen. Die Sammlung Jellinek-Mercedes ist somit fast das Einzige, was von den früheren Beständen übriggeblieben ist, denn in der Nacht vom 26. zum 27. Juli 1943 wurde bei einem Großangriff die Volksbücherei-Hauptstelle und mit ihr die Musikbücherei bis auf die Grundmauern zerstört. Erst 1951 gab Ernst Reichert die Bände für den geplanten Wiederaufbau zurück.
Für die Stadt Essen stand aus moralischen Gründen wie auch im Hinblick auf den „Aufruf zur Wiedergutmachung durch deutsche Städte“ des Deutschen Städtetags vom 24.04.2001 außer Frage, die Sammlung an die Nachfahren zurückzugeben. Da die relativ große und ursprünglich sehr begüterte Familie Jellinek-Mercedes ihr gesamtes Vermögen durch die Nazi-Herrschaft verloren hatte, lebte Frau Jellinek-Mercedes von einer äußerst bescheidenen Rente. Nachdem Danielle, die Tochter von Andrée Jellinek-Mercedes, für einen Tag gemeinsam mit ihrem Ehemann in Essen zu Besuch gewesen waren, kamen alle Beteiligten überein, die Sammlung gegen eine symbolische Entschädigung in der Stadtbibliothek zu belassen. Vier Monate, nachdem der Vertrag in vollem beiderseitigem Einvernehmen abgeschlossen worden war, starb Andrée Jellinek-Mercedes.
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