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27.01.2023
8 Min

Zukunft durch Wandel

Ein Interview mit Martin Harter, Geschäftsbereichsvorstand Stadtplanung und Bauen der Stadt Essen


Martin Harter ist seit 2019 Beigeordneter der Stadt Essen für den Geschäftsbereich Stadtplanung und Bauen. Seit 2014 war er Stadtbaurat in Gelsenkirchen und zuvor in gleicher Funktion in Gladbeck tätig. Von 2007 bis 2013 leitete Martin Harter das Amt für Stadtplanung, Bauaufsicht und Stadtentwicklung in Mülheim an der Ruhr. Von 2001 bis 2003 war er Projektleiter Wohnungsbauplanung im Amt für Stadtplanung und Bauordnung der Stadt Essen. Er hat in Dortmund Ingenieurwesen studiert und mit einem Diplom abgeschlossen.

Nach rund drei Jahren im Dienst der Stadt Essen, gibt der Beigeordnete im nachfolgenden Interview unter anderem Einblick in aktuelle Herausforderungen der Stadtentwicklung, die Vision der Überdeckelung der A40 und seine persönliche Motivation.

In Essen bewegt sich viel, es werden zahlreiche Projekte angestoßen. Welche Herausforderungen und Unterschiede sehen Sie in der Stadtentwicklung in der heutigen Zeit?

Eine der größten Herausforderungen für Stadtentwicklung ist heutzutage die Flächenknappheit. Das ist in Essen im Besonderen der Fall. Der Unterschied zu den 1950er und 1960er Jahren liegt darin, dass es zu dieser Zeit genügend freie Flächen und wenige Diskussionen über deren Inanspruchnahme gab. In den Nachkriegsjahren und der Zeit des Wirtschaftswunders musste Wohnungsbau realisiert werden, dafür wurden Frei- und Grünflächen genutzt. Stadtplanung und Stadtentwicklung waren zu dieser Zeit allen voran auf Wachstum ausgerichtet.

Heute leben wir in einer Zeit, in der die Flächen knapper geworden sind, es jedoch immer wieder Chancen gibt, neue Potenziale zu identifizieren. Bei uns in Essen sorgte beispielsweise der Strukturwandel dafür, dass Industrieflächen zu Brachflächen wurden. Ein Beispiel hier ist die "grüne Mitte Essen", die in der Vergangenheit entwickelt werden konnte. Durch die große Ausbreitung der Kruppschen Werke im Stadtgebiet konnte Stadtentwicklung also bis in die Stadtmitte vordringen. Das Wiederaufbereiten von Flächen, von der Altlastensanierung bis zur Erschließung, ist allerdings eine echte Sisyphusarbeit. Sie bietet selten die Gelegenheit, Stadtentwicklung im größeren Maßstab betreiben zu können, sondern bezieht sich immer auf Quartiersebene.

Neben dem eigentlichen Flächenmangel ist aber auch die Erkenntnis gereift und greifbar, dass wir Stadtentwicklung nicht nur als bebaute Umwelt vorantreiben können. Wir müssen auch darauf achten, dass unsere Umwelt gesund bleibt und der Klimawandel nicht verstärkt wird. Zusätzlich müssen Bürger*innen durch eine gute Kommunikation frühzeitig miteinbezogen werden. Wir setzen uns heute also mit anderen Ansprüchen auseinander als in der Vergangenheit.

Welche Flächen in Essen bieten zurzeit Entwicklungspotenziale?

In der Neuentwicklung startet Essen am Eltingviertel , um die nördliche Innenstadt aufzuwerten. Wir möchten einen Brückenschlag machen und das Eltingviertel mit der Innenstadt verbinden. Indem wir die topografischen Unterschiede ausnutzen und den Radschnellweg 1 (RS1) mit dem Bereich um die St. Gertrud Kirche verbinden, gelingt uns auch eine Anbindung des Eltingviertels an die Innenstadt. Das Eltingviertel soll sich zu einem Quartier mit städtischem und urbanem Flair entwickeln.

Stellt man sich eine Perlenkette vor, kommen wir dann zum Thurmfeld mit einer Weiterentwicklung des Geländes der Universität Duisburg-Essen für Wissenschaft und Forschung. Es schließt sich eine Neuausrichtung des thyssenkrupp-Quartiers an. Ebenfalls entlang der Perlenkette finden wir "Essen 51.", ein neues Quartier, das Wohnen und Gewerbe gut vermischt.

Sie haben das Eltingviertel als ein weiteres zentrales Quartier in Essen angesprochen. Die Machbarkeitsstudie vom Büro ASTOC GmbH & Co. KG zeigt unterschiedliche Möglichkeiten der städtebaulichen Entwicklung des Quartiers auf. Was sind die Kernaussagen der Entwicklung des Eltingviertels?

Zunächst ist beim Brachflächenrecycling zu berücksichtigen, dass wir aus 100 Prozent Versiegelung auch entsiegelte Flächen generieren. Am Beispiel der "grünen Mitte Essen" sieht man, dass dort auch großzügige Freiflächen mit Grün und Wasser entstanden sind. Stadtentwicklung bringt bei vielen Flächenentwicklungen trotz der Neubebauung auch eine Aufwertung der Umwelt- und Freiraumqualitäten mit sich.

Freiflächen wurden in der Vergangenheit nur im Süden der Stadt, nicht im Norden, geplant. Der Norden war Industrie und Arbeit, der Süden Wohnen und Freizeit. Im Zweiten Weltkrieg wurde die Industrie bombardiert. Der Flächennutzungsplan für den Wiederaufbau hat die vorherige Planung erneut manifestiert: Im Norden hauptsächlich Industrie und Arbeit, im Süden Wohnen und Freizeit. Durch den Strukturwandel sind die Industrie und Arbeit im Norden mehr und mehr weggebrochen. Damit einher ging auch eine verstärkte Grünflächenentwicklung im Essener Norden. Trotzdem ist die grundsätzliche Struktur noch da und macht eine Umgestaltung der nördlichen Stadtteile entsprechend schwieriger.

Das erweiterte Eltingviertel ist ein neues, innerstädtisches Wohnquartier auf einer derzeitigen Parkplatzfläche, ergänzt durch die umliegenden Grundstücke. Im Grunde bilden wir mit der Kombination von Eltingviertel und RS 1 eine komplett neue Adresse aus. Der Radweg wird in den Mittelpunkt gestellt, nicht mehr der Automobilverkehr. Diesen gibt es zwar auch, aber nicht mehr so ausgeprägt. Der Radschnellweg 1 steht im Vordergrund. Es wird ein unterschiedlicher Wohnungsmix angeboten, von einem bis zu fünf Zimmern. Eine Kita wird neu angesiedelt und auch einige gewerbliche Dienstleistungen. Das Eltingviertel ist ein nachhaltiges Quartier mit gewerblichen Flächen, aber auch mit Freiraum zum Kreieren. Kleinklimatisch sehen wir eine Flachdachbegrünung vor, Regenwasser wird kreativ behandelt und auch Solarenergie ist vorgesehen. Die Nachhaltigkeitsthemen sind dort intensiv bespielt. Wir hoffen und wünschen uns, dass die Weiterentwicklung des Eltingviertels auch einen positiven Impuls für eine positive Entwicklung der gesamten nördlichen Innenstadt gibt.

Die Überdeckelung der A40 ist wegweisend, um die trennende Wirkung aufzuheben, die die Autobahn auf die Stadt hat. Welche Idee steckt dahinter?

Die Überdeckelung der A40 ist kein Projekt, das man sich heute ausdenkt und das morgen direkt realisiert wird. Es braucht viele einzelne Schritte und zudem besteht eine Abhängigkeit von Dritten. Angefangen beim Bund mit der Bundesautobahnverwaltung bis hin zu Fördermittelgebern*Fördermittelgeberinnen, die das Projekt wirtschaftlich unterstützen, denn selbst tragen wird sich diese Überdeckelung einschließlich einer Bebauung nicht. Aber wir sehen große Vorteile darin, diese Stadtteile wieder zusammenwachsen zu lassen indem wir die trennende Wirkung der Autobahn auf die Stadtteile schließen, durch mehr Freiräume, Wegeverbindungen und bauliche Ergänzungen.

Die Bewerbung für Olympia 2032 bot uns die Gelegenheit, dieses Thema in Verbindung mit dem Olympischen Dorf ins Spiel zu bringen. Wir haben damit den Aufruf gestartet, dass wir als Stadt aktiv daran arbeiten möchten, ohne genau zu wissen, wann es zu einer Umsetzung kommt und wie diese im Detail ausgeführt wird. Wir erfahren dafür auch einen großen Rückhalt in der Kommunalpolitik, die uns den Rücken gestärkt und uns ermuntert hat, das Thema aufzugreifen und weiterzuverfolgen. Und genau das machen wir nun auch zusammen mit dem Amt für Straßen und Verkehr. Wir sind mit der Autobahnverwaltung intensiv in Gespräche gekommen. Ich freue mich, wenn wir das Schritt für Schritt weiter konkretisieren.

Die Brachflächenentwicklung alter Zechen- und Industriegelände ist nicht nur in Essen ein großes Thema, sondern im ganzen Ruhrgebiet. Wie funktioniert der Erfahrungsaustausch zwischen den Städten und welche gemeinsamen Projekte werden über die Stadtgrenzen hinweg vorangetrieben?

Der Erfahrungsaustausch und das Netzwerk der Planer*innen im Ruhrgebiet sind ausgesprochen gut. Das beginnt bei den Beigeordneten, die sich formal mindestens viermal im Jahr im sogenannten Lenkungskreis der Städteregion Ruhr 2030 treffen und austauschen. Weiter geht es über gemeinsame Mitgliedschaften in den Bau- und Verkehrsausschüssen vom Städtetag NRW und vom Deutschen Städtetag, wo wir den Erfahrungsaustausch über den Ruhrgebietsrand hinaus betreiben.

Die Fachbereichsleitungen haben ebenfalls solche Austauschrunden und zusätzlich gibt es noch Arbeitsgruppen – insbesondere im Zusammenhang mit dem regionalen Flächennutzungsplan – wo weit darüber hinaus planerische Themen diskutiert und identifiziert werden.

Im Nachgang an solche Austauschrunden bilden sich interkommunale Arbeitsgruppen, die bestimmte Themen bearbeiten. So muss nicht jede Stadt für sich diese Fragen alleine beantworten, sondern wir nutzen im Grunde die Schwarmintelligenz aller Planungsverwaltungen des Ruhrgebiets. Der Erfahrungsaustausch ist hier schon stark ausgeprägt und mündete 2022 auch in einem gemeinsamen Auftritt auf der Polis-Convention mit dem Titel "Eine Region im Aufbruch – Neue Quartiere der Metropole Ruhr". Dort stellen wir Projekte der Städte dar, die sich mit Flächenrecycling beschäftigen. Wir haben immer mehr interkommunale Gemeinschaftsprojekte, weil wir erkannt haben, dass Stadtentwicklung nicht an der Grenze Halt macht.

Der Klimaschutz spielt bei der Stadtentwicklung eine zunehmend wichtigere Rolle. Innenstadtnahe Parks, weniger versiegelte Flächen und mehr Grün und Wasser in den Innenstädten sind wichtige Anhaltspunkte, um dem Klimawandel entgegen zu wirken und mehr Aufenthaltsqualität in der Innenstadt zu erzeugen. Wie macht sich das in der Stadtentwicklung bemerkbar?

Ich glaube, das ist ein Thema, das verstärkt in jüngster Zeit in den Fokus öffentlicher Betrachtung und Stadtplanung gerückt ist. In den Köpfen der Stadtplaner*innen ist das Thema schon seit Beginn der 1990er Jahre verankert. Damals wurde mit der Eingriffs- und Ausgleichsregelung begonnen. Ökologische und nachhaltige Aspekte haben also schon seit einigen Dekaden Eingang in Planungsdenken gefunden und es wird weiter forciert. Das beginnt bereits im Studium, in dem diese Themen einen höheren Stellenwert einnehmen.

Mit Blick auf die Vergangenheit muss man allerdings sagen, dass das Thema Aufenthaltsqualität bestimmten Moden unterlag. Rückblickend gibt es also auch immer kritische Planungen. Was aber meiner Ansicht nach Bestand haben wird und deshalb auch nachhaltig die Städte und öffentlichen Räume prägen wird, ist die größere Akzeptanz und der gestiegene Wert von Grünflächen in der Stadt. Begrünungselemente werden dauerhaft sein und Begrünungsaspekte werden immer bedeutender in der Stadtentwicklung. Wir erkennen die Vorteile, die eine Begrünung mit sich bringt. Angefangen bei Bäumen, die für eine gute Verschattung der Innenstädte sorgen, bis hin zur CO2-Reduzierung, das sorgt für kleinklimatische Verbesserungen und dient im Grunde auch in ästhetischer Funktion. Wir müssen klug damit umgehen und daran arbeiten, damit die Städte grüner werden.

Zum Abschluss noch eine persönliche Frage. Was motiviert Sie in Ihrer täglichen Arbeit und wie erfahren Sie Unterstützung für Ihre Ideen?

Die Motivation kommt vor allem daher, weil ich Spaß an meiner Arbeit habe. Es ist immer wieder spannend, an der Stadtentwicklung mitarbeiten zu dürfen. Und ich bin ja auch nicht der maßgebliche Faktor. Vielmehr braucht es dafür ein gutes Team. Es braucht eine gute Planungsverwaltung und Immobilienwirtschaft, damit wir auch mit eigenen baulichen Maßnahmen innerhalb der Stadt Impulse setzen können. Es funktioniert auch nicht, wenn die politische Rückendeckung fehlt. Das heißt nicht, dass jedes Projekt einstimmig beschlossen werden muss; natürlich gibt es auch andere Positionen und Meinungen. Was wir allerdings brauchen, ist eine Grundhaltung, dass wir die richtige Arbeit machen und dass der Weg in eine gemeinsame Richtung entwickelt wird. Das ist wichtig. Diese Rückendeckung spüre ich hier in Essen. Diese Kombination motiviert mich, auch wenn es mal Rückschläge gibt. Wir Planer*innen sind es ja auch gewohnt, dass von drei gezeichneten Plänen zwei in die Tonne wandern. Das gehört für mich dazu und das ist wie im richtigen Leben: Fällt man hin, dann steht man wieder auf und macht weiter.

Was mir aber schon deutlich helfen würde, wären zusätzliche Ressourcen, besonders mit Blick auf die ersten Ideen. Ich will das am Beispiel der A40 nochmal deutlich machen. Für das Projekt haben wir Mittel bereitgestellt bekommen. Damit haben wir Dritte beauftragt, in diesem Fall Albert Speer und Partner, die uns gute Bilder produziert haben, um die Geschichte der Entwicklung, die wir anstreben, schon von Anfang an überzeugend erzählen zu können.

Und das gelingt uns leider eben nicht immer. Ich bin mir sicher, dass man für viele Stadtentwicklungsideen auch früher schon Überzeugungsarbeit leisten könnte, wenn wir mehr Potenzial hätten. Den Bürgern*Bürgerinnen fehlt vielleicht die Vorstellungskraft, wie sich ein Projekt entwickelt, und man kann ja auch nicht erwarten, dass jede*r gleich Bilder im Kopf produziert. Deshalb müssen wir die Bilder mit einem Stift produzieren, um den Leuten zeigen zu können, in welche Richtung sich das entwickeln kann. Ich würde mir wünschen, dass wir das doch noch öfter, schneller und schlagkräftiger hinkriegen. Mit zusätzlichen Ressourcen wäre es möglich, strategisch viel schneller ein Bild über eine positive Stadtentwicklung zu visualisieren. Das gäbe die Möglichkeit, eine rote Linie zu zeichnen, natürlich sich auch daran messen zu lassen und festzustellen, ob die Projekte auf diesen Pfad einzahlen oder nicht.

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